Samstag, 23. Januar 2016

Alte Sachen - Markus Flohr

Ich öffne die Schubladen meines Schreibtischs, was sehe ich? Alte Sachen. Ich wage einen Schritt in den Keller… alte Sachen! Jeder von uns hat doch noch Kram liegen, den man seit Jahren nicht mehr braucht, aber trotzdem nicht wegschmeißt, weil das Herz daran hängt, weil es Dinge mit Geschichte sind. In dem Roman von Markus Flohr geht es auch um solche alten Dinge - Dinge mit Geschichte -, aber vielmehr noch um Erlebtes. Es geht um Erlebnisse, die in der Vergangenheit liegen, aber noch präsent sind, weil sie das Leben prägen.


In „Alte Sachen“ geht es um eine Familiengeschichte. Es ist die Familie von Lior. Er ist in Israel geboren, seine Familie stammt ursprünglich allerdings aus Deutschland. Seine Großeltern hatten ein Modegeschäft in Berlin. Doch als die Nazis an die Macht kamen, mussten sie Deutschland verlassen. Fliehen! Liors Familie ist jüdisch. Jetzt als junger Mann kehrt er in die Heimat seiner Großeltern und will sich dort ein Leben aufbauen. Warum ausgerechnet in der Stadt, in der seine Großeltern viel Leid erfahren mussten?

„Ich dachte, wenn ich komme, in die Stadt, aus der meine Familie geflohen ist, dann es ist eine gute Idee. […] Es wurde bedeuten, dass Menschen sich ändern konnen. Verstehst du? […] Ich hatte das Gefuhl, ich konnte mit ein Teil meiner Geschichte zurückholen. Verstehst du? Man kann etwas stehlen, zum Beispiel Geld, und man kann es zuruckgeben. […] Aber es gibt auch etwas, das ist mit Geld nicht zu ersetzen. […] Das ist deine Geschichte, die Geschichte deiner Mutter zum Beispiel, deiner Oma, von deine Freunde. Fehlt dort etwas, musst du es suchen. Du kannst es von niemand fordern.“

Das erzählt Lior Rieke, als sie mit ihm darüber spricht, warum er in Berlin lebt und dort eine Schneiderei betreibt, obwohl ihm der Job keinen Spaß macht und er auch nicht besonders gut darin ist. Rieke hat gerade ihr Abi in der Tasche, lässt sich durch den Sommer und die Clubs treiben. An einem Abend lernt sie Lior durch einen Zufall kennen und ist irgendwie fasziniert – von seinem Geruch, seiner Art mit dem Kopf zu wackeln und seiner Familiengeschichte. Er erzählt ihr von seinem Opa, seinem Leben in Israel, doch bevor sie sich noch näherkommen, ist Lior plötzlich weg. Ohne Abschied. Und an sein Handy geht er auch nicht mehr. Rieke ist sich allerdings sicher, dass er nicht abgereist ist. Also versucht sie alles über Liors Familie und ihr früheres Leben in Berlin herauszufinden – in der Hoffnung, dass sie dann auch ihn wiederfindet.

Nach den ersten Seiten dachte ich zunächst noch, dass mich hier eine recht klassische Coming-of-Age-Geschichte erwartet. Was vor allem daran liegt, dass Markus Flohr anfangs sehr bei Rieke und ihrer Feierlaune bleibt. Als jedoch Lior in ihr Leben tritt, merkt man, dass diese Geschichte mehr will und dann gibt es plötzlich einen Zeitsprung  in die Vergangenheit. Man liest über die Großeltern in Berlin und auf einmal geht es um Angst, ums Verstecken, um eine mögliche Flucht, eine heimliche Liebe und es lässt sich erahnen, dass diese Familiengeschichte noch ein großes Geheimnis birgt.

Mich hat das Buch sehr gepackt und mir hat es auch erzählerisch sehr gefallen. Zum einen fand ich es sehr gut, dass Markus Flohr beide Zeitstränge in die Geschichte eingearbeitet hat, so bekommt man beim Lesen ein gutes Gefühl dafür, wie der Holocaust die unterschiedlichen Generationen geprägt hat. Zum anderen fand ich es sehr spannend, dass der Autor erzählerisch meist bei der Perspektive eines nur indirekt Betroffenen geblieben ist. Als Leser folgst du zum Beispiel nur Rieke und nicht Lior und auch in den Rückblicken ist es ein Freund der Großeltern, der im Fokus steht. Ich fand das super, weil so eben mehr im Verborgenen lag und die Geschichte an Spannung gewonnen hat. Dass man als Leser aber dennoch ein Gefühl für die Ängste der Großeltern und auch für die Zerrissenheit Liors bekommt, zeigt die erzählerische Stärke des Autors. Seine Figuren habe ich gerne kennengelernt und bin froh, dass er sich nicht für die klassischen Mainstreamtypen entschieden hat. Es sind Figuren mit Profil und Herz. Und um die Lobeshymne abzuschließen: Sehr gelungener Debütroman – packend, glaubhaft und gut recherchiert!

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